Galerie T-4 – Peter Killer

Vernissage Galerie T4, Ausstellung Andreas Meyer, 19.4.889

Meine Damen und Herren,

die Frage ist erlaubt: befinden sich die Künstler heute nicht in einer beneidenswerten Situation? Ja, auch deshalb, weil es Galerien wie diese gibt, die auf uneigennützige Weise Kunst fördern, das Wort Förderung zum eigentlichen Nennwert nehmen. Doch nicht das meine ich in erster Linie, wenn ich von einer beneidenswerten Situation des Künstlers spreche.

Blicken wir ein Jahrzehnt, zwei, drei Jahrzehnte zurück. Die Lage auf der Kunstszene war insofern ganz anders, als es Strömungen gab, die die Meinungsbildenden und die Meinungsvervielfachenden als die für die jeweilige Zeit repräsentativen verstanden. Kurz, wer dabei sein wollte, hatte die richtige Kunst zu schaffen. Und diese hiess in den fünfziger Jahren informel, zehn Jahre spáter Pop Art, dann Neue Innerlichkeit und später Wilde Malerei. Wer sich entschloss, diesen Leit­strömungen zu folgen, sah sich aufgenommen im Wohlwollen der Wahrheitsbesitzer, geschützt durch die starken Hände der Vormaler, gestärkt durch die kühnen Gedanken der Vordenker.

Wer sich allerdings zu einem eigenen Weg entschloss, der hatte die bitteren Konsequenzen zu tragen. In Weltstädten mochte dies noch angehen, dort leistete man sich nicht nur zwei oder sogar drei Fussballballmannschaften, dort leistete man sich auch sich bekriegende Kunstpäpste, sich gegenseitige be­schimpfende Malerfürsten mit entsprechender Gefolgschaft. Ueber Streitigkeiten der verschiedenen Lager, die veröffentlichten Pamphlete und Tiraden war das Publikum besser informiert als über die Bilder, auf die sich letztlich bezogen. In mittleren und kleinen Städten wie Zürich leistete man sich zwei Fussball­clubs, aber nicht zwei Lager mit gepachteter Kunstwahrheit. Also gehörte man zu den Richtigen oder Falschen. Nicht, dass es existenzbedrohend gewesen wäre, zu den Falschen zu gehören, aber immerhin hiess das, nicht nur seine künstlerische Arbeit zu tun, sondern auch noch sie selbst zu rechtfertigen, gewaltige Energien in die Selbstbehauptung zu investieren.

Der Glaube an den einen und einzigen künstlerischen Weg nach vorn gibt es heute nicht mehr. Aus der Wahrheit sind Wahrheiten geworden, und daran, dass das Heil vorn liegt, zweifelt man ganz besonders. Zum Wesen unserer Postmodernen Zeit gehört die Erkenntnis, dass in den meisten Lebensbereichen die bisherigen Entwicklungen nicht linear fortgesetzt werden dürfen, werden können. Die Moderne, also die Strömung der letzten Jahrzehnte, erscheint uns etwa im ökologischen Bereich weniger als neuzeitlich (wie es das Wort «modern» eigentlich meint), sondern als endzeitlich. In der Kunst äussert sich in der postmodernen Haltung unter anderem der Zweifel, ob der vorwärtsstürmende Avantgardismus und der entsprechend immer grössere Abstand zum Bewusstsein der breiten Oeffentlichkeit Sinn macht. Und mit letzter Sicherheit weiss der postmoderne Künstler, dass es nicht nur ein einzigen richtigen Weg gibt, bzw. dass der eigene Weg der richtige sein kann, ob dies die Museumsleute, die Kunstkritik und die Umgebung so sehen oder nicht. Der postmoderne Künstler erfährt in wohl nie gekanntem Mass Freiheit. Diese Freiheit bedeutet aber nicht gesprengte Ketten, sondern Loslösung von der Leitleine. Erst heute erlebt der Künstler, was Sartre vor einem halben Jahrhundrt als Verurteilung zur Freiheit genannt hat. Die künstlerische Freiheit ist also kein Geschenk, sondern eine aufgebürdete Verantwortung.

Was fängt nun eine Künstler wie der 1944 geborene Zürcher Andreas Meyer mit seiner Freiheit an? Vieles. Er hat sich bei­spielsweise einen eigenen Weg zwischen den einstigen Lagern der Gegenständlichen und Ungegenstándlichen gesucht und gefunden. Der einst erbitterte Kampf zwischen den Figurativen und den Abstrakten ist in den Bilder Andreas Meyers souverän überwunden. Seine gestalterischen Richtlinien sind keine übernommenen Dogmen, sie ergeben sich vielmehr aus der Notwendigkeit des augenblick­lichen Wollens.

Andreas Meyers Arbeit umkreist das Thema der Figur: die Chancen der postmodernen Zeit nutzend, bedeutet die Auseinder­setzung mit der Figur aber nicht im herkömmlichen Sinn Figuration, Gegenständlichkeit, vielmehr ist sie Ausgangspunkt zu Malabenteuern, die in Bereiche führen können, wie wir sie aus der abstrakten Kunst kennen.

Unsere Kunstvorstellungen sind weitgehend vom vordergründig innovationsorientierten Avantgardismus der letzten Jahrzehnte geprägt. Das neue Kunstwerk hatte augenfállig anders zu sein als die bereits existierende Kunst. Der postmoderne Künstler fügt sich diesem Zwang nicht mehr. Die kreative Leistung ist auch auf bereits begangenem Terrain möglich, muss nicht extensiv sein, kann sich mit ebenso gutem oder besserem Grund intensiv äussern. Der Künstler ist nicht nur der Entdecker von Niemandsland, er ist auch der Taucher und der Flieger, der mitten aus unserer vertrauten Welt vertikal ins Neue aufbricht. Andreas Meyers Position ist die zweite. Nicht verwunderlich, dass auf seinem Ateliertisch Eier liegen, mit denen er seine Eitemperafarbe wie die alten Meister selbst anrührt, da überrascht es nicht, dass sich Andreas Meyer intensiv mit alten Maltechniken beschäftigt hat.

Die Innovation um der Innovation willen interessiert ihn kaum. Es scheint mehr als kurioses biographisches Detail zu sein, dass sich dieser Künstler als Karatekämpfer bewährt hat. Karate verlangt äusserste Konzentration ab, fokusiert Energien auf punktuelle Situationen hin. Ein ähnliches Prinzip zeigt sich in seinen Bildern. Sie passieren zwar keineswegs wie die Attacken des Karatekámpfers in Augenblicken, aber doch
ebenfalls in äusserster Konzentration und unter Berücksichtigung des Prinzipes der Oekonomie der Mittel.

Meine Damen und Herren, Andreas Meyers Kunst ist eine Kunst der Differenzierung. Sie müssen entsprechend mit differenzierendem Blick wahrgenommen werden. Ich wünsche Andreas Meyers Bildern viele solche Blicke.

Peter Killer